Ein Interview mit Jürgen Schneider

Warum braucht der Mensch Natur?

Der größte Irrtum, oder die größte Lüge ist, dass Mensch und Natur zwei voneinander getrennte Dimensionen seien. Wir sind Natur, in ihr lebend und gleichzeitig ein ganzes Universum an Leben beherbergend und daher zieht es uns als Menschen mit aller Macht in diese Verbindung.

Sehen Sie eine Veränderung bei den Kindern, wenn Sie mehrere Tage hintereinander ganz ohne technische Geräte in der Natur sind?

Nach dem zweiten Tag lassen sich praktisch alle fallen. Es ist als höre man ein tiefes Durchatmen, eigentlich ein Ausatmen. Dann beginnen sie den Ort zu erkunden, sie machen sich schmutzig, sie machen Feuer statt Rauch, sie lassen sich von einer Gelse stechen, weil diese das Blut für ihre Kinder braucht, sie singen dem zahmen Huhn ein Schlaflied vor, sie bringen ein noch warmes Ei aus dem Hühnerstall und sie lieben es zum Nachbarn Milch holen zu gehen, der hat ein Kalb und einen jungen Labrador.

Wie ist die Rückmeldung der Kinder?

Ich komm nächstes Jahr ganz sicher wieder!
Ich würde gern wiederkommen, aber ich brauche ein richtiges Klo.

Gibt es Kinder, die damit gar nicht umgehen können?

Nein, wenn sie erst einmal da sind, nicht.

Kommen Natur und Naturerfahrungen Ihrer Meinung nach in der Kindheit heute zu kurz?

Der Bewegungsradius eines Kindes hat seit den 60ern von ca 8km ums Haus auf etwa 500 m (!) heute, abgenommen. Sie können einen Frosch nicht von einer Kröte unterscheiden und sie sehen kein Kalb sondern eine Babykuh. Was soll ich sagen,… ich glaube wir erziehen eine Generation auf erschreckende Art naturfremd.

Kommt Natur in der heutigen Zeit generell zu kurz?

Wir versuchen immer noch sie uns untertan zu machen. Wir versuchen, in ihr zu überleben, wir konsumieren sie outdoors und decken uns dafür mit Equipment ein, das uns voll isoliert und sie uns möglichst nicht spüren lässt. Wir verbringen praktisch den ganzen Tag in klimatisierten und beleuchteten Räumen, in Autos, Einkaufszentren und Smarthomes. Niemand geht mehr barfuß, beim kleinsten Sommerregen haben alle Regenjacken und Gummistiefel an. Sind Sie schon mal rausgegangen, wenn im Sommer ein Gewitter so richtig loslegt? Sollten Sie tun, ist ein beeindruckendes Erlebnis.

Sonstiges, was Ihnen zum Thema Natur und Menschen einfällt?

Seit wir uns dazu entschlossen haben zu züchten und zu zähmen, seit wir uns über die anderen Lebewesen erhoben haben und sie zu unseren Zwecken (zum Zweck der Output-Maximierung) manipulieren, seit wir andere Lebewesen in Nützlinge und Schädlinge eingeteilt haben, seit jener Zeit erkennen wir uns nicht mehr als Teil einer unglaublichen Vielfalt, eines unaussprechlichen Wunders.

Wir haben die Natur entheiligt, wir patentieren sie, wir sprechen den anderen Lebewesen Seele und Bewusstsein, die Fähigkeit sich zu freuen und zu trauern ab, damit es uns leichter fällt, das unfassbare Leid der Massentierhaltung zu relativieren. Wir machen aus einem Rind eine Milchproduktionsmaschine indem wir der Mutterkuh ihr Kalb entziehen. Das ist bitter und es wird auf uns zurückfallen.

In den letzten 30 Jahren haben wir rund 75% aller Insekten (Biomasse!) verloren und der Aufschrei, die Panik, sie bleiben aus. Wir beschäftigen uns mit Ablenkung, mit Neid und Habgier, wir posten Urlaubsfotos und fotografieren unser Abendessen.

Die gute Nachricht:

Kinder brauchen 2 bus 3 Tage höchstens und, wenn sie unter sich und im naturnahen Raum sind, gut begleitet, nicht überwacht und organisiert, vergessen sie den alltäglichen Irrsinn ganz schnell.

Es liegt an uns, das zu respektieren und aufzuhören, sie gegen ihren Willen auf die „wirkliche“ Welt vorbereiten zu wollen.

Jürgen Schneider
Jürgen Schneider

 

 

 

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